Gestern, am 8. August, starb unser Autor Tomáš Radil mit neunzig Jahren nach kurzer Krankheit in Prag. Als Dreizehnjähriger durchlebte er – der aus einer ungarischsprachigen Familie im slowakischen Parkan stammte – nach der deutschen Besetzung Ungarns vom 19. März März 1944, was Juden in Europa, verantwortet von Deutschen, angetan wurde. Getrennt von seinen engsten Familienangehörigen, die großteils im KZ umkamen, hatte Tomáš Radil als Jugendlicher in Auschwitz-Birkenau nicht mehr als eine vage Sehnsucht, noch eine kurze Weile seiner sicheren Ermordung entgehen zu können – Ein bisschen Leben vor diesem Sterben. Mit 13 in Auschwitz lautet entsprechend auch der deutsche Titel seines Überlebensberichts, der 2020 im Arco Verlag erschien. 

Das Buch wurde nun zu seinem Vermächtnis, unter Aufbietung großer Kräfte den alptraumhaften Erinnerungen abgerungen, die ihn nie losließen, ihm bis in dieses Jahr, bis zu seinem Tod schwer zu schaffen machten. Anstoß zu seinem Schreiben war auch das Gedenken an die, die nicht überlebten: »So lege ich hier stellvertretend Zeugnis auch über ihr Leben ab.« Er verstand das als einen »Bericht über sehr widersprüchliche Erfahrungen: über extremen, verbrecherischen Egoismus wie über gegenseitige Toleranz und Solidarität […] über Verzweiflung und Depression, aber auch über Standhaftigkeit und Optimismus, über das Böse wie auch das Gute.«

Tomáš Radil erlebte die Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945, schlug sich durch in seine Heimatstadt. Nach dem Krieg avancierte er in der Tschechoslowakei zu einem der namhaftesten Wissenschaftler auf dem Gebiet der Neurophysiologie und Psycho-Physiologie, zum Professor an der Karls-Universität und Gastprofessor in den USA und im europäischen Ausland; zu seinen weitgefächerten Schwerpunkten gehörte ferner die Sozialpsychologie, die Trauma- und Diasporaforschung. Bei vielen dieser Forschungsgebiete war die eigene Erfahrung grundlegend und wurde zum Ausgangspunkt. Auch sein persönlichstes Buch, das er uns und der Welt hinterlassen hat, verknüpft den bloßen Bericht mit heutiger Reflexion – für den Historiker Jehuda Bauer (Yad Vashem) in dieser Form »einzigartig«.

Wir sind dankbar für das Vertrauen, das unser Autor Tomáš Radil in uns gesetzt hat, und daß er erleben durfte, wie sein Buch ein Echo in dem Land entfalten konnte, von dem vor mehr als achtzig Jahren die Schrecknisse ihren Ausgang nahmen – Eröffnung eines Gesprächs, in dem seine gewichtige, auf Versöhnung und Menschlichkeit bedachte Stimme nun nicht mehr zu hören, aber zu lesen ist. Möge er nun im Frieden sein, erlöst von all dem Schweren.