Die Leber des Prometheus
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Jiří Kolář
Die Leber des Prometheus
Bibliothek der Böhmischen Länder [13]
250 S. / Leinen
August 2021

ISBN 978-3-96587-001-7
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Aus dem Tschechischen von Kristina Kallert.

Im September 1952 konfiszierte der tschechische Geheimdienst ein explosives Typoskript. Dessen Autor wurde wegen »Aufruhrs gegen die Republik« sowie »Schmälerung des Ansehens des Präsidenten« zu einem Jahr Haft verurteilt, und dieser »Hooligan, der sich in einem unbewachten Augenblick in die Literatur eingeschlichen hatte« (Jiří Taufer), sollte auch weiterhin ausgeschaltet werden.

Gemeint war Jiří Kolář. Und so war der Weg der Leber des Prometheus, die »wie kein anderer Text ein so rasendes wie suggestives Bild der Zeit« gibt (František Hrubín 1952), voller Hindernisse. Samisdat- und Exilausgaben konnten nur auf eine doppelt zensierte Fassung zurückgreifen, erst 2016 erschien der ursprüngliche Text von 1950 – dank des beschlagnahmten Exemplars, das sich beim Geheimdienst erhalten hatte.

Anstößig ist der Text mit seinem unverhohlenen Blick auf die menschliche Niedertracht und die absurde Monstrosität des Banalen, in seiner Trostlosigkeit und zugleich in seinem geradezu radikalen moralischem Anspruch, der einem täglichen prometheischen Leiden entspringt, einer Erschütterung im Kleinen wie im Großen, im Historischen wie Alltäglichen.

Der weltberühmte Künstler Jiří Kolář ist als Autor im deutschsprachigen Raum kaum präsent. Die zentrale Rolle, die das Wort für ihn behalten hat, zeigen seine gegenständlichen Briefe, seine Hommage an Christian Morgenstern, an Jawlensky, das Tagebuch 1968, kurz, die unzähligen Collagen, die mit dem gedruckten Wort arbeiten. Sie verdeutlichen die Kompliziertheit von Wahrheit, die Korrumpierbarkeit des Wortes, seine Macht, seine kontextabhängige Chamäleonnatur. Die Leber des Prometheus liest sich wie die Quelle dieser Bilder, ein Tryptichon aus eigenen, adaptierten, zitierten, alludierten, ineinadergespiegelten und collagierten Texten. Der Blick geht nicht nach innen, sondern nach oben und unten, auf die Straße hinaus und in die Zeitungen, aber es gibt einen Refrain: Nicht lügen! Man folge dieser Aufforderung, es erfordert Mut: Die Leber des Prometheus, für die der Autor »auf lange Zeit zu einem literarisch und menschlich Geächteten wurde« (Vítězslav Nezval), zieht den Leser, ähnlich wie die Dynamik der Collagen, in einen bedrohlichen Sog und läßt ihn ins Bodenlose verlorener Kultiviertheit und toter Moral fallen.