Anathemata
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David Jones
Anathemata
Zweisprachige Ausgabe
700 S. / Hardcover
September 2022
sofort lieferbar
ISBN 978-3-96587-052-9
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Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Cordelia Spaemann, mit zahlreichen Anmerkungen des Verfassers

Wie konnte das nur passieren? Der womöglich größte britische – halbwalisische – Dichter des 20. Jahrhunderts wurde lange einfach übersehen. Selbst in seiner Heimat. Hierzulande ohnehin. Die Rede ist vom auch als modernistischer Maler bedeutenden David Jones – in dem T. S. Eliot als Lektor von dessen erstem Roman In Parenthesis (1937) gleich das Genie erkannte und ehrfurchtsvoll nur noch James Joyce und Ezra Pound (und sich selbst) mit ihm in einem Atemzug nennen mochte. Für die bloße Lektüre von David Jones’ dichterischem Hauptwerk Anathemata – entstanden wohl von 1938 bis 1951 – benötigte W. H. Auden fast ein Jahr, in dem er die Superlative sammelte, das, was ihm da begegnet oder widerfahren war, zu preisen: »Ich fasse mich an den Kopf, ich sehe eins der größten Werke unserer Zeit – und wo bleiben die Salven? Wo bleibt das Geläute?«

Vielleicht war zu fordernd, zu rätselhaft, was da hallt und wie es in vielen Zungen tönt, was sprachlich-klanglich und laut zu lesen als Sprachkunstwerk in den Bann zieht – dank Cordelia Spaemanns kongenialer Nachdichtung sogar auf Deutsch. In wohl keinem anderen Werk der Weltliteratur verschmelzen Moderne und Mythen derart wie in diesem Epos, das auf eine magische keltische Welt verweist, aus der sich auch J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe speiste, in dem sich Sprachen vermischen wie in Finnegans Wake.

Die Anathemata gelten als eine »symbolisch-dramatische, vielstimmige Anatomie der westlichen Kultur« – die Hochkulturen Mesopotamiens und Palästina einschließend. Es ist ein Streifzug durch mehrere Jahrtausende der Menschheit in acht Teilen, über »Ritus und Vorzeit«, »Mittelmeer und Lears Meer« und »Land der Angeln« bis zu »Donarstag und Venustag«. Es geht um die Blüte der Menschheit, die sich Zeichen und Symbole schafft; die katholische Messe, das Abendmahl und die Passionsgeschichte gehören zu den zentralen Motiven. Dem gegenüber steht die Verkümmerung von Schöpfertum wie unter den römischen Welteroberern und in der Moderne.

Handlungsorte sind zumeist die Britischen Inseln, ein Werden und Vergehen ists, wie das ständige Anlanden und Ablegen von Schiffen anonymer Kapitäne im Nebel – Realität und Symbol zugleich –, das Anathemata ebenso zu einem Großepos der Seefahrt macht, von den segelnden Helden Trojas und den Argonauten an, durchwirkt von nautischer Sprache, vom derben Slang der Matrosen und Hafentavernen bis zum Cockney einer verführerischen Lavendelverkäuferin im mittelalterlichen London. Liebes- und Mondgöttinnen, darunter Freya und Helena; Sibylle, Calypso und Persephone; Artus und Jesus, Caesar und Wilhelm, der Eroberer; Parzival u. v. m. tummeln sich in diesem Epos.

Es gibt Stimmen, die Anathemata auch als ein verborgnes Echo auf den Totalitarismus und auf Kulturvernichtung deuten, hier verkörpert im römischen Weltreich. Sicher ist, daß David Jones sich zeitlebens gegen eine industrielle Gesellschaft, ihr reines Profitstreben und die Zerstörung der symbolischen Dimension durch die eindimensionale Zweckrationalität wehrte, die den Künstler in eine Diasporasituation drängt.