Jeghische Tscharenz (1897–1937) – gesprochen: Jerische Tscharents – wird von Armeniern in aller Welt als einer der bedeutendsten Dichter ihres Volkes verehrt. Als eine schillernde Figur der literarischen Moderne ist der Dichter darüber hinaus heute weithin unbekannt.

Tscharenz – ein Pseudonym für seinen eigentlichen Namen Jeghische Soghomonjan – wurde am 13. März 1897 in der alten Festungsstadt Kars, in der heutigen Osttürkei, geboren, die von einer ruhmreichen Vergangenheit als einstige Hauptstadt des armenischen Bagratidenreichs (10. Jahrhundert) und den wechselnden Eroberern, zuletzt den Osmanen, geprägt worden war. Tscharenz´ armenische Eltern stammten aus dem Khanat Maku in Persien, und die Berufung auf diese bewunderte Kultur findet sich in seinem Werk immer wieder.

Tscharenz´ kurzes Leben stand unter keinem guten Stern. Da waren zunächst die alles überschattende Tragödie der mörderischen Verfolgung der Armenier durch die jungtürkische Regierung in Ersten Weltkrieg und die Massaker des »Türkischen Befreiungskriegs« unter Mustafa Kemal, unter anderem auch 1920 in Tscharenz´ Geburtsstadt Kars. Tscharenz war in diese Ereignisse teilweise persönlich verstrickt – und zwar in die geschichtsträchtigen Vorgänge in der Region Van, wo Armenier sich 1915 gegen türkische Gewalttaten und Massaker entschlossen zur Wehr setzten: Als Angehöriger eines armenischen Freiwilligenbataillons gehörte Tscharenz einem russischen Entsatzheer an, das die Stadt von den türkischen Belagerern befreite. 1921 war er als Soldat der Roten Armee kurz in innerarmenische Konflikte in der neuen Sowjetrepublik hineingezogen.

Tscharenz erste größeren selbständigen Veröffentlichungen fielen in die unruhige Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, so die Poeme »Zoma« und »Die rasend gewordene Menge« (1918/19) oder die »Radio-Gedichte« (1920). Dabei spielten die Beeinflussung durch den russischen Futurismus – vor allem durch Vladimir Majakovskij – und die anfängliche Identifikation mit der Sowjetunion eine Rolle.

Zunehmend fand Tscharenz jedoch zu seinem eigenen Stil und Motiven, die häufig in der uralten armenischen Kultur, Geschichte und Landschaft wurzeln. In seinem Werk verschmelzen klassische europäische (Dante, Goethe, Puskin, Heine, Fet) wie persich-orientalische (Firduzi, Hafis) oder fernöstliche (japanische) Traditionen, moderne Strömungen und archaische Formen armenischer Dichtung, stehen Liebesgedichte neben der schmerzlichen Beschäftigung mit dem Völkermord an seinem Volk. Besonders in seinem Poem »Danteske Legende«, entstanden 1916 in Tiflis, fanden die Verbrechen an den Armeniern ein literarisches Echo.

Tscharenz´ Erfolge als Schriftsteller wurden von schweren persönlichen Nöten überschattet: so seinem verunglückten Pistolenattentat auf eine Sechzehnjährige aus verschmähter Liebe (1926), dem Tod seiner ersten Ehefrau während seiner anschließenden Haftstrafe (1927), von Krankheit, Morphiumabhängigkeit, seelischen Erschütterungen.

Zeitlebens im Strudel der politischen Wirren, war Tscharenz, zunächst überzeugter Kommunist, bereits ab 1922 immer wieder starken Anfeindungen und Diffamierungen ausgesetzt. Ab 1932 geriet er endgültig ins Visier des Sowjetregimes. 1934 wurde er mit Publikationsverbot belegt. Wie der große russische »Armenien-Dichter« Osip Mandel´stam fiel auch Tscharenz der stalinistischen Verfolgung zum Opfer. An seine Frau schrieb er aus dem Gefängnis: »Sei stark, mein Weib – selbst wenn sie dich auf die Straße werfen. Nicht nur wir müssen leiden, sondern viele, viel Menschen, die so sind wir wir.« In den letzten Novembertagen des Jahres 1937 starb der schwerkranke Tscharenz an den Strapazen der Haft; nach einer anderen Version sei er vom NKWD erschossen worden.

Der Herausgeber und Nachdichter von Jeghische Tscharenz: Mein Armenien, Konrad Kuhn, gibt in seiner »Biographischen Skizze« eine gründliche, kundige Einführung in die bewegten Lebensumstände des Dichters vor dem Hintergrund des Völkermords an den Armeniern und den politischen Anfechtungen in der Zeit des Stalinismus.

 
Jeghische Tscharenz
Jeghische Tscharenz
im Arco Verlag