Fritz Beer war unser erster Autor, und die Gründung des Verlags ist eng mit seinem Vertrauen in unsere verlegerischen Vorhaben verbunden: Mit einem Typoskript von Fritz Beer in der Tasche nahm der Arco Verlag 2002 im Vorortzug aus Wimbledon Fahrt auf – lesend, mitunter sogar lachend. Die Zusammenarbeit mit ihm und die gemeinsamen Jahre erfüllen uns mit Dankbarkeit und großer Freude. Sein Buch Kaddisch für meinen Vater zählen wir zu unseren Lieblingsbüchern. Mit der Wiederauflage seines großartigen Prosabands Das Haus an der Brücke – zuerst 1949 – würdigen wir den Erzähler zu seinem 100. Geburtstag.

Fritz Beer wurde am 25. August 1911 in Brünn geboren. In einer weitgehend assimilierten jüdischen Mittelstandsfamilie und mit deutscher Muttersprache aufgewachsen, wandte er sich als Jugendlicher zunächst dem zionistischen Jugendbund Techelet-Lawan (»Blau-Weiß«) zu.

1928 trat er, wie zuvor sein älterer Bruder Kurtin die zunächst eher gemäßigte, reformerisch-fortschrittlich orientierte Kommunistische Partei (KPTsch) ein, die die Demokratie der Ersten Republik mitprägen wollte. In Hast Du auf Deutsche geschossen, Grandpa? Fragmente einer Lebensgeschichte (1992) macht Beer deutlich, wie sehr er Mitte der dreißiger Jahre Gefahr lief, sich als Mitläufer mit dem nun unübersehbar verbrecherischen Charakter des Stalinismus zu arrangieren, seine Zweifel und Skrupel der Parteilinie zu unterwerfen. Mit kritischen Kommunisten wie Milena Jesenská im Gespräch, gelang ihm schließlich der mühsame Weg aus der KPTsch.

Zunächst übernahm er jedoch noch illegale Aufgaben und startete seine journalistische Laufbahn, ab 1934 als Redakteur bei der renommierten, aus Berlin nach Prag emigrierten A(rbeiter)-I(llustrierte)-Z(eitung), bei der Franz Carl Weiskopf sein Chef und John Heartfield sein Kollege waren. Nach dem deutschen Einmarsch in die bereits im Zuge des Münchner Abkommens dezimierte Tschecho-Slowakei, war Fritz Beer gefährdet und konnte sich glücklich bei (Mährisch) Ostrau über die Grenze nach Polen retten. Von dort aus erreichte er sein Asylland Großbritannien. Der Hitler-Stalin-Pakt gab ihm den (letzten) Anstoß zum Bruch mit der KPTsch; durch seinen Austritt sah er sich im Exil Intrigen ausgesetzt.

Als Kriegsfreiwilliger schloß sich Beer der »Tschechoslowakischen Auslandsarmee« in Südfrankreich an. Dabei ging es ihm angesichts absurder Verdächtigungen, ein »sudetendeutscher Nazi« zu sein, darum, die Loyalität eines Deutschen und Juden mit seinem tschechoslowakischen Staat zu bezeugen. Als Soldat geriet er mitten in den französischen Zusammenbruch, mit den Resten der tschechoslowakischen Einheiten wurde er nach England evakuiert, um dann nach der Invasion 1944 an der erfolgreichen Belagerung der Festung Dünkirchen mitzuwirken.

Nach dem Krieg sah sich Beer mit den Ausmaßen der deutschen Verbrechen sowie der Ermordung von fast dreißig seiner Familienangehörigen konfrontiert, darunter seines Vaters und seines Bruders, der unter dem Pseudonym Kurt Konrad ein bedeutender marxistischer Theoretiker, Redakteur und Parteifunktionär gewesen war und in Gestapo-Haft Selbstmord verübt hatte. Angesichts dieser Greuel überwand Fritz Beer seine erstmals aufkeimenden Haßgefühle gegen »die Deutschen« und traf eine Lebensentscheidung: sich an ihrer »Umerziehung« zu beteiligen und auf eine Versöhnung zwischen den Deutschen und insbesondere Juden hinzuwirken, damit sich solche Schrecknisse nicht wiederholen würden. Für den deutschen Dienst der BBC und als Korrespondent deutscher Zeitungen profilierte sich Fritz Beer als ein kritischer Journalist, zumeist zu politischen Themen.

1949 erschien im Nürnberger Nest-Verlag von Karl Anders der Erzählungsband Das Haus an der Brücke – nunmehr neu im Arco Verlag.

Im Zuge der Niederschlagung des »Prager Frühlings« rückten Fritz Beers bestechende Analysen in den Blickpunkt. Er war Mitautor des aktuellen Sachbuchs Der Fall CSSR. Strafaktionen gegen einen Bruderstaat (September 1968!) und legte 1969 eines der besten politischen Bücher über seine einstige Heimat vor: Die Zukunft funktioniert noch nicht. Ein Portrait der Tschechoslowakei 1918–1969.

Eine neue Bestimmung fand Fritz Beer, als er 1988 – als Nachfolger von Hans Keilson und davor H. G. Adler – zum Präsidenten des PEN-Zentrums deutschsprachiger Schriftsteller im Ausland gewählt wurde und sich in dieser Rolle wesentlich an politischen Debatten in Deutschland beteiligte. Das betraf nach 1989 auch den Umgang mit dem Erbe totalitärer Herrschaft in der DDR und mit den Verantwortlichen.

Zuletzt sah Fritz Beer für das PEN-Zentrum deutschsprachiger Schriftsteller im Ausland keine Zukunft mehr, nachdem ein Großteil der einstigen Mitglieder gestorben oder aus Altersgründen ausgeschieden war. Darum plädierte er für eine würdige Auflösung. Das hatte eine erhitzte Debatte und eine Reihe von heftigen, persönlichen Anfeindungen zur Folge.

Die Veröffentlichung von Kaddisch für meinen Vater. Essays, Erzählungen und Erinnerungen im Arco Verlag (2002) trug Fritz Beer viel Anerkennung ein und beeindruckte die Kritik. Er konnte es selbst bei Lesungen in Deutschland und an seinem Wohnort London dem Publikum vorstellen.

Fritz Beer, der von 1940 bis zu seinem Tod mit seiner nur wenig jüngeren Frau Ursula zusammenlebte, die als Jüdin aus Berlin geflohen war, starb nach längerer Krankheit im September 2006, nur wenige Tage nach seinem 95. Geburtstag.

Fritz Beer ist mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt worden. 1934 erhielt er den Moskauer Preis für ausländische Literatur, 1941 den Literaturpreis der deutschen Zeitung, London, 1969 den Josef-Brunner-Preis. 1976 verlieh ihm Prince Charles den Order of the British Empire. 1997 wurde ihm für sein »Lebenswerk mit seiner immer wieder bekräftigten Humanität« die Ehrenmitgliedschaft des Collegium Europaeum Jenense zuteil, 1998 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Das Nachwort zu Kaddisch für meinen Vater von Christoph Haacker geht ausführlich auf Fritz Beers bewegte Biographie sowie auf sein literarisches und publizistisches Werk ein.

 
Fritz Beer